DENKREICH

Karfreitag ist ein komischer Tag. Jedes Jahr aufs Neue zwingt er mich über meine Religion nach zu denken. Ich bin mit einer katholischen Mutter und einem evangelischen Vater aufgewachsen. Ich weiß nicht ob Papa sehr religiös war, aber Mama war es auf jeden Fall. Kirche gehen gehörte für sie dazu und auch der Verzicht auf Fleisch am Karfreitag. Ich konnte mit all dem nicht so viel anfangen, aber als Kind macht man halt mit. Später bin ich dann aus der katholischen Kirche ausgetreten. Meine Mutter war nicht mehr da und sonst verbannt mich nichts mit der Kirche. Ich beschäftigte mich erst wieder mit dem Thema, als ich meinen Mann kennenlernte. Seine Famile war sehr stark mit der evangelischen Gemeinde in unserem Stadtteil verbunden und ich habe mich sehr wohl gefühlt. Als unser Sohn dann geboren wurde haben wir ihn evangelisch taufen lassen. Ich wollte, dass er Religion lebt und erlernt. Ob er dann mit ihr Leben möchte kann er irgendwann selber entscheiden.

Und heute ist also wieder Karfreitag. Eigentlich ein Feiertag wie jeder andere, aber er rüttelt mich immer wieder. Sollen wir Fleisch essen? Eigentlich empfinde ich den Verzicht als Blödsinn, da ich ja sonst das ganze Jahr auch nicht nach irgend welchen religiösen Regeln lebe. Andererseits denke ich, dass man auch mal verzichten kann. Wahrscheinlich gibt es heute bei uns Fleisch, aber immer mit einem Hauch von schlechtem Gewissen.